6. Röpke-Symposium am 18.02.2014Welche Chancen hat Subsidiarität in Europa?
Pressemitteilung Nr. 9 vom 18. Februar 2014
6. Röpke-Symposium des Kompetenzzentrums Soziale Marktwirtschaft von HWK und NWHT zur Zukunft des Subsidiaritätsziels der EU
Di Fabio: "Wirtschaftsregierung ein Wendepunkt"
Von der Beschäftigungs- und Qualifizierungspolitik über sozialpolitische oder Steuerharmonisierungen bis hin zu einer eventuellen Wirtschaftsregierung: immer mehr Rahmenbedingungen für Handwerk, Mittelstand und übrige Wirtschaft werden in Europa entschieden. "Der Zentralisierungshunger der EU geht dabei einher mit einer zunehmenden Selbstüberforderung der Europäischen Union.
Eine Debatte, welche Reformen Europa braucht, ist überfällig", setzte der Vizepräsident der Handwerkskammer Düsseldorf, Siegfried Schrempf, das Tableau für einen breit angelegten wissenschaftlichen Diskurs im Vorfeld der Europawahlen am Dienstag in der Handwerkskammer. Zu einem "Röpke-Symposium" zu der Frage: "Welche Chancen hat Subsidiarität in Europa?" eingeladen hatte das "Kompetenzzentrum Soziale Marktwirtschaft" der Kammer und des NRW-Handwerkstags. "Subsidiarität aktiviert ungeheure Potenziale: Das verstreute und versteckte Wissen in den dezentralen Einheiten des Mittelstands wird auf wunderbare Weise genutzt und führt zu Wachstum und Wohlstand", plädierte Schrempf.
Die Analysen und Erörterungen der insgesamt 13 Verfassungsjuristen, Verbandsökonomen und Staatswissenschaftler auf dem mit Bundesverfassungsrichter a.D. Prof. Udo Di Fabio an der Spitze prominent besetzten Podium verrieten allerdings starke Skepsis, ob die EU diesem ihrem Grundziel ausreichend Rechnung trage. Generell fiel die Zustimmung zur Analyse von Kompetenzzentrum-Geschäftsführer und Dr. Thomas Köster aus: "Wir erleben eine galoppierende Entmachtung der Nationalstaaten, der Regionen und der Kommunen." Die EU bedürfe deshalb klarerer Schranken insbesondere hinsichtlich der Kompetenzermächtigungen für die Kommission, einer Ertüchtigung des Wettbewerbs der Ideen und Lösungen, die in den Mitgliedsländern entwickelt worden sind und werden sowie einer Aufwertung der Parlamente auf allen Ebenen.
Für Professor di Fabio markiert die in Brüssel hauptfavorisierte Forderung zur Rettung des Euro einen Wendepunkt. Eine "Wirtschaftsregierung" stehe in einem antagonistischen Verhältnis zur Dezentralität der politischen Ordnungen im verfassten Europa. Subsidiarität im Sinne eines Verantwortungsaufbaus von der unteren Entscheidungsebene her aktiviere den Souverän, die Bürger, sichere Vielfalt und verhindere, dass fehlerhafte politische Entscheide gleich flächendeckend Schaden anrichteten. "Die Herausforderung der EU besteht darin, nach dem Europa-Motto 'Einheit in Vielfalt' ein genügendes Maß an Anpassungsflexibilität zu wahren, um zukünftigen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragen zu können", präzisierte der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Holger Schwannecke, den Reform-Auftrag. Der Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbands Michael Breuer und der Vorsitzende des Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverbands, Ralf Barkey, verwiesen zum Beleg auf den essenziellen Beitrag der dezentral organisierten Kreditinstitute in Deutschland, die die Kapitalversorgung der Masse der Unternehmen sicherten: Sparkassen und Volksbanken. Die EU-Kommission müsse "respektieren, dass unsere freiberuflichen und mittelständischen Wirtschaftsstrukturen anders gewachsen sind als in vielen EU-Mitgliedstaaten", forderte auch der Präsident des Bundesverbands der Freien Berufe, Dr: Horst Vinken. Gerade die deutschen Freiberufler stellen den Menschen in den Mittelpunkt, entlasteten den Staat und trügen das Erfolgsmodell der dualen Ausbildung mit.
Insbesondere blockierten nationale Eigeninteressen und deren schwieriger Ausgleich strukturell eine polyzentrischere Machtverteilung. Gerade bei der Frage um Subsidiarität oder Vereinheitlichung stünden die Nationen einander verständnislos gegenüber, weil sie unterschiedliche Lehren aus ihrer Geschichte zögen, analysierte der Bonner Neuzeit-Historiker Dominik Geppert. So setzten die Briten traditionell Handelsvorteile und damit Marktöffnungen in ihren Fokus. Frankreich mit seiner etatistischen Tradition der Wirtschaftsordnung unterstützt seinerseits eine stärkere Wirtschaftsregierung in Europa, berichtete der Präsident der Deutsch-Französischen Gesellschaft, Christophe Braouet. "Bei dem Frühwarnsystem der nationalen Parlamente wird die Subsidiarität oft durch das Prisma der nationalen Interessen der Mitgliedsstaaten und weniger als Verteidigung eines Ordnungsprinzips gesehen", bestätigte Prof. Ireneusz Pawel Karolewski von der Universität Wroclaw.
Völlig hoffnungslos scheint das Ringen um eine Neu-Austarierung der derzeit disparitären Einflußstrukturen in Europa nicht: Die Befürworter einer Rückbesinnung auf mehr subsidiäre Verantwortung könnten durchaus auf die Wirksamkeit einiger "Bremsen gegen EU-Zentralisierungsprozesse" vertrauen, betonten der Europarechtler Prof. Dr. Rudolf Streinz (München) und der Ökonom Dr. Jan Schnellenbach vom Freiburger Walter-Eucken-Institut. Streinz empfahl der Bundesregierung eine stärkere Beteiligung an Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, in denen es um die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips gehe. Ferner seien die Verbände aufgerufen, sich noch intensiver als Träger Öffentlicher Belange in die Mitwirkung von Bundestag und -regierung an europäischen Entscheidungsverfahren einzuschalten.
Vor dem Hintergrund der nicht ausgeschöpften Möglichkeiten zur Revitalisierung des Subsidiaritätsziels der EU gewann ein Fazit von Thomas Köster in der abschließenden Aussprache noch an Relevanz und Unterstützung: "Wir brauchen den Mut zur Differenzierung. Mehr Intergration in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie Eingriffskautelen gegen unverantwortliche Verschuldungspolitik einzelner Mitgliedsstaaten. Und in anderen Bereichen müssen wir mehr Mut zur Vielfalt und zum Wettbewerb der Wirtschaftsordnungen aufbringen – und zur Benennung dessen, wo wir `weniger Europa´ benötigen. Wir brauchen eine Revision der europäischen Kompetenz-Ordnung aus dem Geist der Subsidiarität!"